Urlaub trotz Krankheit?

Am 16.04.2009 haben wir uns in der Frankfurter Allgemeine Zeitung  mit dem Thema „Übertragung des nicht genommenen Urlaubs in das Folgejahr bei Krankheit“ beschäftigt.

Herr N. war infolge einer schweren Erkrankung in der Zeit vom 1. Februar 2008 bis zum 31. März 2009 arbeitsunfähig und konnte deshalb den ihm zustehenden Urlaub von 20 Arbeitstagen im Jahr 2008 nicht in Anspruch nehmen. Herr N. fragt, ob er die 20 Urlaubstage im laufenden Jahr zusätzlich zu seinem Jahresurlaub nehmen kann oder ob sein Anspruch inzwischen verfallen ist.

Nach dem Bundesurlaubsgesetz (§ 7) muss Urlaub während des laufenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden. In bestimmten Fällen (dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe) kann der Urlaub in die ersten drei Monate des Folgejahres übertragen werden.

Die Erkrankung des Arbeitnehmers, die ihn daran hindert, den Urlaub während des laufenden Kalenderjahres in Anspruch zu nehmen, stellt in aller Regel einen Grund für die Übertragbarkeit des Urlaubs dar. Grundsätzlich erlischt der Urlaubsanspruch nach dem Ende des Übertragungszeitraums, das heißt nach dem 31. März des Folgejahres.

Das Bundesarbeitsgericht vertrat in langjähriger Rechtsprechung die Auffassung, dies gelte auch dann, wenn der Arbeitnehmer bis zum 31. März oder darüber hinaus arbeitsunfähig krank ist und deshalb den Urlaub aus dem Vorjahr nicht in Anspruch nehmen konnte. Demnach könnte Herr N. die 20 Tage aus dem Jahr 2008 nicht verlangen.

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hatte gegen die Rechtsprechung europarechtliche Bedenken. Es wandte sich daher an den Europäischen Gerichtshof. Das Urlaubsrecht ist Gegenstand einer europäischen Richtlinie (2033/88/EG), die bindende Vorgaben für die nationalen Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten macht. Bestehen Zweifel, wie eine europäische Rechtsnorm auszulegen ist, so kann – beziehungsweise muss, wenn sich das Verfahren in der letzten Instanz befindet – das nationale Gericht dem Europäischen Gerichtshof im Wege eines sogenannten Vorabentscheidungsverfahrens diese Frage vorlegen.

Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, es sei mit der Richtlinie 2003/88/EG nicht vereinbar, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auch dann erlischt, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums arbeitsunfähig krankgeschrieben war und deshalb seinen Anspruch auf Urlaub nicht ausüben konnte.

Begründet wird dies unter anderem mit dem Argument, das europäische Recht garantiere einen Mindesturlaub von vier Wochen. Verfällt der Urlaub, ohne dass der Arbeitnehmer die Möglichkeit hatte, ihn in Anspruch zu nehmen, würde zu Unrecht dieses soziale Recht beeinträchtigt.

Das Bundesarbeitsgericht hat sich inzwischen mit Urteil vom 24. März 2009 (9 AZR 983/07) der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs angeschlossen und seine frühere Auffassung aufgegeben. Demnach hat Herr N. auch nach dem 31. März 2009 die Möglichkeit, die 20 Urlaubstage aus dem Vorjahr zusätzlich zum neuen Urlaub in Anspruch zu nehmen.

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass seine Rechtsprechungsänderung auch rückwirkend gelte, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Vorlage des Düsseldorfer Landesarbeitsgerichts an den Europäischen Gerichtshof in Arbeitgeberkreisen bekannt wurde. Damit können Arbeitnehmer noch für die Vergangenheit Ansprüche auf Urlaub oder Urlaubsabgeltung einfordern.

Wolfgang Strba,
Rechtsanwalt und Fachanwalt
für Arbeitsrecht in Frankfurt