Firma zu, Kündigung o.k.?

Am 18.02.2010 haben wir uns in der Frankfurter Allgemeine Zeitung  mit dem Thema „Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit vor dem 25. Lebensjahr bei der Kündigungsfrist“ beschäftigt.

Frau B. ist 36 Jahre alt und seit 16 Jahren als kaufmännische Angestellte im selben Unternehmen beschäftigt. Da ihr Arbeitgeber sich zur Ruhe setzen will und keinen Nachfolger gefunden hat, beschließt er, den gesamten Betrieb so schnell wie möglich stillzulegen und allen 18 Mitarbeitern zu kündigen. Frau B. erhielt am 12. Februar eine Kündigung zum 30. Juni. Sie fragt, ob die Kündigung wirksam ist und, wenn ja, ob der Beendigungszeitpunkt richtig berechnet wurde.

Die Stilllegung des gesamten Betriebes führt zum Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeiten für die Mitarbeiter. Sie rechtfertigt in aller Regel eine ordentliche, betriebsbedingte Kündigung. Die gegenüber Frau B. erklärte Kündigung dürfte daher, vorbehaltlich der Prüfung der weiteren Umstände – so auch der Frage, ob der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört wurde – wirksam sein.

Unter der Voraussetzung, dass im Arbeits- oder Tarifvertrag nichts Abweichendes bestimmt wird, fanden bisher die gesetzlichen Kündigungsfristen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB, § 622 Abs. 2) Anwendung. Danach verlängert sich die Kündigungsfrist mit der Dauer der Betriebszugehörigkeit. Allerdings werden die Jahre vor Vollendung des 25. Lebensjahres nicht berücksichtigt. Im Fall von Frau B. würde daraus folgen: Bei Bestimmung der Kündigungsfrist werden nur die elf Jahre nach dem 25. Geburtstag berücksichtigt. Die Kündigungsfrist betrüge demnach vier Monate zum Monatsende.

Nun hat jedoch der Europäische Gerichtshof (EuGH) jüngst entschieden (Entscheidung vom 19. Januar 2010, C-555/07), dass die Nichtberücksichtigung der Betriebsjahre vor Vollendung des 25. Lebensjahres gegen europäisches Recht verstößt, da sie dem Verbot der Diskriminierung wegen des Alters entgegensteht. Personen mit gleicher Betriebszugehörigkeit werden unterschiedlich behandelt, je nachdem, in welchem Alter sie in den Betrieb eingetreten sind. Für diese Ungleichbehandlung gebe es keinen rechtfertigenden Grund. So wie jetzt der EuGH hatten bereits zuvor mehrere Landesarbeitsgerichte entschieden, unter anderem das Hessische Landesarbeitsgericht. Die Folge: Eine nationale Rechtsnorm, die gegen europäisches Recht verstößt, darf von den Gerichten nicht mehr angewendet werden. Die Gerichte müssen so entscheiden, als gäbe es die Vorschrift nicht, auch wenn sie noch im Gesetz steht. Somit sind im Fall von Frau B. die gesamten 16 Jahre ihrer Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen. Die Kündigungsfrist verlängert sich damit auf sechs Monate zum Monatsende, das heißt bis zum 31. August. Die Kündigung bleibt jedoch wirksam, auch wenn die Kündigungsfrist nicht eingehalten wurde.

Wolfgang Strba,
Rechtsanwalt und Fachanwalt
für Arbeitsrecht in Frankfurt