Stimmt die Sozialauswahl?

Am 26.09.2013 haben wir uns in der Frankfurter Allgemeine Zeitung  mit dem Thema „Sozialauswahl bei Kündigung im Kleinbetrieb – ab welcher Mitarbeiterzahl besteht Kündigungsschutz ?“ beschäftigt.

Frau R. arbeitet seit acht Jahren als Verkäuferin in einem Feinkostgeschäft. Außer ihr gibt es noch zwei weitere Verkäuferinnen sowie die Filialleiterin. Der Arbeitgeber unterhält weitere Niederlassungen in Deutschland mit zusammen rund 40 Mitarbeitern. Das Unternehmen sprach Frau R. die Kündigung aus. Die Leserin ist der Meinung, an ihrer Stelle hätte eine der Kolleginnen entlassen werden müssen. Diese seien fünf und sieben Jahre jünger und deutlich kürzer im Unternehmen. Außerdem hätten sie, anders als Frau R., keine Kinder.

Die Erfolgsaussichten einer Klage hängen maßgeblich davon ab, ob Frau R. in den persönlichen Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) fällt. Dies ist nur dann der Fall, wenn in dem Betrieb, dem sie angehört, regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt werden (§ 23 KSchG). Maßgeblich ist somit, was im vorliegenden Fall als Betrieb im Sinne des § 23 KSchG anzusehen ist: Die Filiale, in der Frau R. arbeitet, oder das gesamte Unternehmen?

Entscheidend ist, wo Entscheidungen über Arbeitsbedingungen und Organisationsfragen getroffen und in welcher Weise Einstellungen, Entlassungen und Versetzungen vorgenommen werden. Auf die räumliche Einheit kommt es hingegen nicht an. Daher können selbst mehrere Betriebstätten, die räumlich weit auseinanderliegen, einen Betrieb im Sinne des § 23 bilden. Das Bundesarbeitsgericht BAG hat ausdrücklich formuliert: “Einheitlich und zentral gelenkte Verkaufsstellen, in denen jeweils nur wenige Arbeitnehmer beschäftigt sind, sind in ihrer Gesamtheit als ein ,Betrieb’ im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes anzusehen.”

Somit kommt es darauf an, welche Befugnisse die Leiter der Filialen haben. Wurde ihnen in personellen Angelegenheiten ein Entscheidungsspielraum eingeräumt, oder setzen sie lediglich Vorgaben der Zentrale um? Vor allem ist von Bedeutung, ob sie selbständig über Einstellungen und Entlassungen entscheiden dürfen. Im Fall von Frau R. stellt sich die Frage: Wurde über ihre Einstellung damals in der Filiale oder am Hauptsitz entschieden, und wer hat diese Entscheidung getroffen? Auch ist maßgeblich, an welcher Stelle die Entscheidung für die Kündigung gefällt wurde. Sollten die Leiter der Filialen keine Entscheidungsbefugnis haben, ist davon auszugehen, dass es sich bei den Filialen nicht um Betriebe im Sinne des § 23 KSchG handelt. Maßgeblich ist dann die Zahl der Arbeitnehmer im gesamten Unternehmen von rund 40. Die Folge: Das Kündigungsschutzgesetz fände Anwendung, und somit hätte einer sozial weniger schutzbedürftigen Kollegin gekündigt werden müssen. Da Frau R. älter ist als die beiden anderen Verkäuferinnen, dem Unternehmen länger angehört und sie zudem Kinder hat, wäre die Sozialauswahl fehlerhaft.

Wolfgang Strba,
Rechtsanwalt und Fachanwalt
für Arbeitsrecht in Frankfurt