Frei arbeiten oder fest?

Am 17.06.2010 haben wir uns in der Frankfurter Allgemeine Zeitung  mit dem Thema „Sozialauswahl bei der betriebsbedingten Kündigung“  beschäftigt.

Frau L. aus Wiesbaden ist PR-Beraterin und arbeitet seit eineinhalb Jahren auf Honorarbasis in einer größeren Frankfurter Werbeagentur. Da die Auftragslage gut ist, hat die Agentur ihr eine feste Stelle angeboten. Frau L. zögert jedoch, da sie sich in ihrem freien Schaffen gut eingerichtet hat und ihr in einem anderen Unternehmen schon einmal betriebsbedingt gekündigt worden ist. Sie fürchtet, dass sie eine mögliche Kündigungsrunde in der Agentur – sie ist 35 Jahre alt und ledig – als zuletzt Eingestellte abermals treffen könnte und ihr die Agentur dann auch keinen Honorarvertrag mehr anbieten wird. Sorgt sich Frau L. zu Recht?

Will der Arbeitgeber wegen des Wegfalls eines Arbeitsplatzes kündigen, so muss er eine Sozialauswahl vornehmen. Zunächst ist der Kreis der Arbeitnehmer zu ermitteln, unter denen diese durchzuführen ist. Einzubeziehen in die Sozialauswahl sind nur vergleichbare Arbeitnehmer. Vergleichbarkeit setzt voraus, dass der Arbeitgeber den von der Kündigung bedrohten Mitarbeiter ohne dessen Zustimmung auf den Arbeitsplatz eines Kollegen versetzen könnte. Der Arbeitnehmer muss zudem aufgrund seiner Kenntnisse in der Lage sein, die Arbeit des Kollegen zu übernehmen.

Steht der Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer fest, so ist zu ermitteln, wer am wenigsten sozial schutzbedürftig ist. Als Kriterien hierfür nennt das Kündigungsschutzgesetz (§ 1 Absatz 3 KSchG) die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und eine etwaige Schwerbehinderung. Diese Kriterien muss der Arbeitgeber gegeneinander abwägen.

Dabei kommt keinem der Gesichtspunkte ein Vorrang zu. Die kürzere Betriebszugehörigkeit eines Arbeitnehmers im Vergleich zu einem Kollegen kann somit etwa durch ein höheres Lebensalter ausgeglichen werden. Eine mathematische Exaktheit bei der Sozialauswahl verlangt das Gesetz nicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann sich ein Arbeitnehmer nur dann auf eine fehlerhafte Sozialauswahl berufen, wenn er deutlich schutzbedürftiger ist als ein anderer.

Es kann somit nicht mit Sicherheit gesagt werden, dass Frau L. in jedem Fall von einer Kündigungsrunde betroffen sein wird. Will ihr Arbeitgeber sie behalten, ist entscheidend, ob ihre Kollegen, die entlassen werden sollen, deutlich schutzbedürftiger sind – weil sie etwa wesentlich länger dem Betrieb angehören, deutlich älter sind oder mehrere Kinder haben. Für den Fall, dass sich das Unternehmen von ihr trennen will, hat Frau L. also nur dann eine Chance, wenn es genügend Kollegen gibt, die wesentlich jünger sind, kurz vor Frau L. eingestellt wurden und keine Kinder haben.

Für Frau L. besteht somit eine große Unsicherheit. Sie sollte jedoch berücksichtigen, dass sie als freie Mitarbeiterin keinen Kündigungsschutz genießt. Je nachdem, welche Frist ihr jetziger Vertrag vorsieht, könnte sich das Unternehmen bei einem Auftragsrückgang unter Umständen leichter von ihr trennen, als wenn sie Arbeitnehmerin wäre.

Wolfgang Strba,
Rechtsanwalt und Fachanwalt
für Arbeitsrecht in Frankfurt