Die Macht der Gewohnheit

Am 16.10.2008 haben wir uns in der Frankfurter Allgemeine Zeitung  mit dem Thema „betriebliche Übung“ beschäftigt.

Herr D. ist seit zehn Jahren als Buchhalter in einem größeren Unternehmen tätig. Er erhielt bisher wie seine Kollegen jedes Jahr im Juli Urlaubsgeld in Höhe eines halben Monatsgehalts. Im Juni erklärte der Geschäftsführer, in diesem Jahr werde es, um Kosten zu sparen, kein Urlaubsgeld geben. Herr D. protestierte und bekam als Antwort, in seinem Arbeitsvertrag stehe nichts von einem Anspruch auf Urlaubsgeld. Herr D. fragt, ob er das Geld trotzdem verlangen kann.

Herr D. kann sich tatsächlich nicht auf seinen Arbeitsvertrag berufen, da darin nichts über die Zahlung von Urlaubsgeld vereinbart ist. Ein Anspruch auf das Urlaubsgeld kann sich aber aus einem ganz anderen Umstand ergeben. Gewährt der Arbeitgeber nämlich über einen längeren Zeitraum, das heißt mindestens drei Jahre hintereinander, eine freiwillige Leistung wie etwa Urlaubsgeld, so kann hieraus ein Anspruch des Arbeitnehmers für die Folgezeit entstehen.

Betriebliche Übung heißt das in der Fachsprache. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass für die Leistung keine andere Anspruchsgrundlage besteht. Wäre im Fall von Herrn D. das Weihnachtsgeld in einem Arbeits- oder Tarifvertrag geregelt, könnte eine betriebliche Übung nicht entstanden sein.

Entscheidend für eine betriebliche Übung ist nicht die Absicht des Arbeitgebers, sondern allein die Frage, ob der Arbeitnehmer aus der mehrmaligen Gewährung von Urlaubsgeld etwa den Schluss ziehen durfte, der Arbeitgeber wolle sich auch für die Zukunft binden. Der Arbeitgeber kann dieses Problem nur umgehen, indem er darauf hinweist, dass die Zahlung jeweils unter Vorbehalt erfolgt. Hat er dies versäumt, kann er sich dem Anspruch des Arbeitnehmers nicht durch einseitigen Widerruf entziehen. Hierfür wäre eine Vereinbarung der Parteien oder eine Änderungskündigung erforderlich, die allerdings nur in Ausnahmefällen zulässig ist. Sie muss, sofern das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet, sozial gerechtfertigt sein, etwa aus betriebsbedingten Gründen.

Im Fall von Herrn D. gilt: Sollte der Arbeitgeber das Urlaubsgeld in der Vergangenheit ohne jeden Vorbehalt gezahlt haben, liegt eine betriebliche Übung vor. Er kann den Anspruch von Herrn D. dann nicht durch bloße Erklärung widerrufen. Er müsste eine Änderungskündigung aussprechen, die allerdings nur für die Zukunft wirken würde. Der Anspruch auf Urlaubsgeld für dieses Jahr bliebe bestehen. Herr D. sollte die Prüfung der Wirksamkeit der Änderungskündigung durch das Arbeitsgericht in Erwägung ziehen und sich zuvor rechtlich beraten lassen.

Wolfgang Strba,
Rechtsanwalt und Fachanwalt
für Arbeitsrecht in Frankfurt