Am 20.09.2012 haben wir uns in der Frankfurter Allgemeine Zeitung mit dem Thema „Ist die Frage des Arbeitgebers nach einer Schwerbehinderung zulässig und muss sie vom Arbeitnehmer wahrheitsgemäß beantwortet werden?“ beschäftig.
Frau L. ist schwerbehindert, der Grad der Behinderung beträgt 60. Ihren Arbeitgeber hat sie hierüber nicht in Kenntnis gesetzt. Im Unternehmen steht eine Kündigungswelle an. Der Arbeitgeber verteilt Fragebogen an die Mitarbeiter, in denen unter anderem angegeben werden soll, ob eine Schwerbehinderung vorliegt. Frau L. fragt, ob sie diese Frage wahrheitsgemäß beantworten müsse.
Bevor er einem schwerbehinderten Mitarbeiter kündigen kann, muss der Arbeitgeber die Zustimmung des Integrationsamtes einholen. Der Fragebogen dient offensichtlich auch dem Zweck, die Mitarbeiter zu identifizieren, die diesen Kündigungsschutz genießen. Die Frage falsch zu beantworten könnte dazu führen, dass der Arbeitgeber eine unwirksame Kündigung ausspricht, weil er davon absieht, die Zustimmung einzuholen. Es müsste dann gegebenenfalls später abermals kündigen, wodurch sich zumindest die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach hinten verschieben lässt.
Eine solche Strategie dürfte jedoch nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 16. Februar 2012, Aktenzeichen 6 AZR 553/10) nicht erfolgversprechend sein. Demnach ist die Frage des Arbeitgebers nach einer bestehenden Schwerbehinderung zulässig -jedenfalls dann, wenn das Arbeitsverhältnis bereits seit sechs Monaten besteht. Dieser Zeitraum ergibt sich daraus, dass der besondere Kündigungsschutz für Schwerbehinderte erst sechs Monate nach der Einstellung greift.
Das BAG hat ausdrücklich entschieden, dass eine solche Frage insbesondere zur Vorbereitung einer beabsichtigten Kündigung gestattet sei. Die Frage ermögliche dem Arbeitgeber ein rechtstreues Verhalten. Dies betreffe etwa seine Pflicht zur behindertengerechten Beschäftigung, die Gewährung des gesetzlichen Zusatzurlaubs für Schwerbehinderte und im Fall der Kündigung außer der Einschaltung des Integrationsamtes die gebotene Berücksichtigung der Schwerbehinderung bei der Sozialauswahl. Die Frage stellt laut BAG keine Diskriminierung dar. Sie diene vielmehr dazu, die Rechte und Interessen des Behinderten zu wahren. Nur wenn der Arbeitgeber von der Schwerbehinderung wisse, könne er die hieraus resultierenden Pflichten beachten. Beantwortet der schwerbehinderte Mitarbeiter die zulässige Frage falsch, kann er laut BAG nicht damit argumentieren, die Kündigung sei mangels Zustimmung des Integrationsamtes unwirksam. Schließlich habe sein Verhalten den Arbeitgeber im Glauben bestärkt, ohne behördliche Zustimmung kündigen zu können.
Frau L. kann daher nicht empfohlen werden, die Frage falsch zu beantworten. Sie sollte berücksichtigen, dass die Offenbarung ihrer Schwerbehinderung dazu führen kann, von der Kündigungswelle verschont zu bleiben.
Wolfgang Strba,
Rechtsanwalt und Fachanwalt
für Arbeitsrecht in Frankfurt