Am 17.03.2011 haben wir uns in der Frankfurter Allgemeine Zeitung mit dem Thema „Anrechnung der Ausbildung auf die Wartezeit gemäß § 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG)“ beschäftigt.
Frau N. hat ihre Ausbildung zur Bürokauffrau im Oktober 2010 erfolgreich abgeschlossen. Der Ausbildungsbetrieb bot ihr unmittelbar im Anschluss an die Ausbildung eine Festanstellung an. Das Unternehmen hat mehr als 100 Mitarbeiter. Ende Januar 2011 erhielt Frau N. überraschend eine Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses. Auf Nachfrage hieß es von Seiten der Personalabteilung, man sei mit ihr unzufrieden. Da das Arbeitsverhältnis noch nicht länger als sechs Monate bestanden habe, benötige man keinen weitergehenden Grund für die Kündigung. Frau N. fragt, ob das Unternehmen ihr tatsächlich ohne weiteres kündigen könne.
Paragraph 1 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) bestimmt, dass Arbeitnehmern nur dann gekündigt werden kann, wenn die Kündigung sozial gerechtfertigt ist. Der Arbeitgeber darf demnach das Arbeitsverhältnis nur dann beenden, wenn einer der im Gesetz genannten Gründe vorliegt. Es wird unterschieden zwischen betriebsbedingten (Wegfall des Arbeitsplatzes), verhaltensbedingten (Verletzung von arbeitsvertraglichen Pflichten, etwa Arbeitsverweigerung oder Diebstahl von Arbeitgebereigentum) und personenbedingten (etwa dauerhafte Erkrankung) Gründen.
Es kommt jedoch nur ein solcher Arbeitnehmer in den Genuss des Kündigungsschutzes, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung mehr als sechs Monate bestanden hat (sogenannte Wartefrist).
Findet § 1 KSchG keine Anwendung, ist der Arbeitgeber in seiner Entscheidung wesentlich freier. Er kann das Arbeitsverhältnis bereits dann beenden, wenn, so das Bundesarbeitsgericht, “ein irgendwie einleuchtender Grund” für seine Entscheidung vorliege. Dieser Grund muss nicht das Gewicht eines der Kündigungsgründe haben, wie sie § 1 KSchG verlangt. Die Unzufriedenheit mit dem Arbeitnehmer kann – dies ist von den näheren Umständen abhängig – einen “einleuchtenden Grund” darstellen. Einen Kündigungsgrund im Sinne des § 1 KSchG stellt die bloße (subjektive) Unzufriedenheit jedoch nicht dar. Es müssen objektive Gründe hinzukommen, etwa eine messbare, dauerhafte und damit vorwerfbare schlechte Leistung.
Entscheidend ist somit, ob Frau N. die Wartezeit erfüllt hat. Dies ist zu bejahen. Obwohl ein Ausbildungsverhältnis strenggenommen kein Arbeitsverhältnis darstellt, wird es bei der Berechnung der Wartezeit wie ein solches behandelt. Somit ist Frau N. länger als sechs Monate in demselben Unternehmen beschäftigt. Sie genießt Kündigungsschutz.
Die Kündigung ist nur dann wirksam, wenn der Arbeitgeber sich über die bloße Unzufriedenheit hinaus auf einen Grund im Sinne des § 1 KSchG stützen kann.
Wolfgang Strba,
Rechtsanwalt und Fachanwalt
für Arbeitsrecht in Frankfurt