Am 04.06.2009 haben wir uns in der Frankfurter Allgemeine Zeitung mit dem Thema „Schmerzensgeld bei Arbeitsunfall?“ beschäftigt.
Herr K. ist als Geselle in einem größeren Schreinereibetrieb beschäftigt. Wegen einer Schutzhaube, die er zum wiederholten Male bei der Arbeit an einer Maschine nicht geschlossen hatte, geriet er neulich mit seinem Meister, Herrn N., in Streit. Dabei kam es zu einem Unfall. Der Meister wollte seiner Aufforderung, die Sicherheitsbestimmungen endlich zu beachten, Nachdruck verleihen und stieß Herrn K. mit beiden Händen vor die Brust. Dieser stürzte unglücklich und erlitt einen komplizierten Armbruch. Herr K. fragt, ob er von seinem Vorgesetzten ein angemessenes Schmerzensgeld verlangen könne.
Nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen wäre der Meister verpflichtet, die aus der begangenen Körperverletzung folgenden Schäden zu ersetzen. Hierzu gehört auch ein angemessenes Schmerzensgeld. Besonderheiten ergeben sich jedoch daraus, dass Schädiger und Geschädigter Arbeitskollegen sind.
Für Arbeitsunfälle finden sich im Sozialgesetzbuch (SGB VII, §§ 104 ff.) besondere Regelungen. Von großer praktischer Bedeutung ist dabei die Haftungsbeschränkung zugunsten des Arbeitgebers und der im Betrieb tätigen Personen. Diese haften für Personenschäden, die sie einem anderen Betriebsangehörigen bei einem Arbeitsunfall zufügen, nur dann, wenn ihnen Vorsatz zur Last fällt. Bei Fahrlässigkeit sind hingegen Ansprüche des Geschädigten gegen den Arbeitgeber beziehungsweise den Kollegen ausgeschlossen.
Die Haftungsbeschränkung soll der Wahrung des Betriebsfriedens dienen, der durch Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber oder der Mitarbeiter untereinander stark belastet werden könnte. Auch sollen die Arbeitnehmer vor unter Umständen existenzbedrohenden Schadensersatzforderungen geschützt werden. Die Haftung des Arbeitgebers und des Kollegen wird durch die Haftung der Träger der Unfallversicherung (Berufsgenossenschaften) ersetzt. Diese zahlt jedoch kein Schmerzensgeld.
Für Herrn K. ist daher von entscheidender Bedeutung, ob sich sein Vorgesetzter auf die Haftungsprivilegierung berufen kann. Dies setzt voraus, dass es sich um einen Arbeitsunfall handelt und Herr N. nicht vorsätzlich gehandelt hat. Ein Arbeitsunfall liegt vor, wenn die erlittenen Verletzungen Folge einer betrieblichen Tätigkeit sind.
Auf den ersten Blick handelt es sich beim Anschubsen eines Arbeitskollegen nicht um eine “betriebliche Tätigkeit”. Verletzungen aufgrund von Tätlichkeiten sind in der Regel nicht als Arbeitsunfall zu bewerten. Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 22. April 2004 – 8 AZR 159/03) hat jedoch in einem vergleichbaren Fall entschieden, dass ein schwerer Sturz mit massiven Verletzungsfolgen, der auf einem “Schubser” beruhte, ein Arbeitsunfall sein kann. Dort hatte ein Lkw-Fahrer einem anderen zur Maßregelung einen Stoß versetzt, weil dieser zu spät erschien.
Das BAG sah in diesem Verhalten eine “nachdrückliche” Aufforderung zur Einhaltung der arbeitsvertraglichen Pflichten. Damit sei ein ausreichender betrieblicher Bezug gegeben. In Anbetracht dessen könnte auch im vorliegenden Fall von einem Arbeitsunfall auszugehen sein. Dass Herr N. Herrn K. mit Absicht geschubst hat, begründet noch keinen hinreichenden Vorsatz. Dieser muss sich nicht nur auf die Handlung beziehen, sondern auch auf die eingetretene Verletzung. Herr N. müsste somit damit gerechnet und in Kauf genommen haben, dass Herr K. stürzt und sich verletzt. Dieser Nachweis dürfte schwer zu führen sein. Herr K. kann somit nicht sicher sein, dass ihm das Arbeitsgericht Schmerzensgeld zusprechen wird.
Wolfgang Strba,
Rechtsanwalt und Fachanwalt
für Arbeitsrecht in Frankfurt