Am 12.04.2012 haben wir uns in der Frankfurter Allgemeine Zeitung mit dem Thema „Anspruch des Arbeitnehmers auf Freistellung zur Wahrnehmung von Vorstellungsgesprächen“ beschäftigt.
Herr K. ist als Bauingenieur in Darmstadt tätig. Sein Arbeitgeber hat das Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 31. Mai gekündigt. Deshalb ist Herr K. auf der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz -mit Erfolg: Am 3. Mai ist er zu einem Vorstellungsgespräch nach München eingeladen. Herr K. möchte für diesen Tag von der Arbeit freigestellt werden. Doch der Arbeitgeber weist die Forderung zurück. Der Leser fragt, ob sein Arbeitgeber ihm frei geben muss, damit er nach München reisen kann.
Ein Arbeitnehmer hat nach der Kündigung eines auf Dauer angelegten Dienstverhältnisses Anspruch darauf, dass sein Arbeitgeber ihn für eine “angemessene Zeit” freistellt, damit er sich eine neue Arbeit suchen kann (§ 629 BGB) und unmittelbar im Anschluss eine neue Beschäftigung findet. Nicht von Bedeutung ist in diesem Fall, welche Seite die Kündigung erklärt hat. Auch bei Abschluss eines Aufhebungsvertrages besteht der Anspruch. Ein Recht auf Freistellung kann sogar dann gelten, wenn das Ende eines befristeten Arbeitsverhältnisses bevorsteht.
Gründe für die Freistellung sind vor allem Termine für Vorstellungsgespräche. In Betracht kommen aber auch Besuche bei der Arbeitsagentur oder die Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen. Der Begriff der “angemessenen Zeit” wird vom Gesetz nicht weiter präzisiert. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. So sind unter anderem der Ort des Vorstellungsgesprächs, die Lage am Arbeitsmarkt, die persönlichen Voraussetzungen des Mitarbeiters (Alter, Ausbildung, Qualifikation) und die betrieblichen Belange des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Die Abwesenheit an einem Arbeitstag, um nach München zu fahren, ist eine angemessene Zeit. Herr K. hat daher einen Anspruch auf Freistellung am 3. Mai.
Eine Verschiebung des Termins könnte der Arbeitgeber allenfalls dann verlangen, wenn besonders dringende Gründe (etwa eine nicht aufschiebbare Aufgabe) vorlägen und die Chance auf die neue Anstellung nicht beeinträchtigt würde. Den Anspruch auf Vergütung für den Tag seiner Abwesenheit verliert Herr K. nicht. Der Arbeitgeber kann auch nicht verlangen, dass der Mitarbeiter für den Vorstellungstermin Erholungsurlaub in Anspruch nimmt. Beachten muss der Arbeitnehmer, dass er den Antrag rechtzeitig stellt, damit sich das Unternehmen auf die Abwesenheit einstellen kann.
Umstritten ist, ob ein Recht auf Abwesenheit besteht, wenn der Arbeitgeber sich weigert, die Freistellung zu gewähren. Unter Umständen muss der Anspruch daher zunächst vor dem Arbeitsgericht durchgesetzt werden. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass eine Abmahnung oder gar eine Kündigung wegen Arbeitsverweigerung erfolgt. Aus diesem Grund sollte, wenn der Arbeitgeber dieses Verlangen zurückweist, anwaltlicher Rat eingeholt werden.
Wolfgang Strba,
Rechtsanwalt und Fachanwalt
für Arbeitsrecht in Frankfurt