Am 27.10.2011 haben wir uns in der Frankfurter Allgemeine Zeitung mit dem Thema „Aufnahme einer Beschäftigung bei einem neuen Arbeitgeber während eines laufenden Rechtstreits (Kündigungsschutzklage) mit dem alten Arbeitgeber “ beschäftigt.
Herr W. wurde zum 30. Juni 2011 betriebsbedingt gekündigt. Hiergegen hat er Klage vor dem Arbeitsgericht erhoben. Das Verfahren dauert an. Herr W. bekommt seit Juli kein Gehalt mehr. Die Arbeitsagentur vermittelt ihm eine neue Stelle. Herr W. fragt, welche Auswirkungen es auf den Prozess hätte, wenn er die angebotene Stelle annähme.
Sollte Herr W. ein neues Arbeitsverhältnis eingehen, kann er gleichwohl an der Kündigungsschutzklage gegen seinen alten Arbeitgeber festhalten. Das Annehmen einer neuen Stelle beendet nicht automatisch das alte Arbeitsverhältnis. In aller Regel enden Kündigungsschutzprozesse mit einem Vergleich. Das Arbeitsverhältnis wird gegen Zahlung einer Abfindung aufgehoben.
Sollte es im Fall von Herrn W. nicht zu einem Vergleich kommen und das Arbeitsgericht die Kündigung bestätigen, wurde das alte Arbeitsverhältnis zum 30. Juni beendet. Es besteht dann nur das neue Arbeitsverhältnis. Stellt das Gericht hingegen die Unwirksamkeit der Kündigung fest, hat Herr W. zwei Arbeitgeber.
Für diesen Fall räumt das Kündigungsschutzgesetz (§ 12, KSchG) dem Arbeitnehmer ein Wahlrecht ein. Innerhalb einer Woche nach Rechtskraft des Urteils kann Herr W. gegenüber dem alten Arbeitgeber erklären, dass er die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bei ihm verweigert. Mit Zugang der Kündigung erlischt das alte Arbeitsverhältnis. Entgangenes Gehalt muss der frühere Arbeitgeber Herrn W. dann nur für die Zeit zwischen der Entlassung, in diesem Fall 30. Juni, und dem Tag des Eintritts in das neue Arbeitsverhältnis zahlen.
Entscheidet Herr W. sich hingegen dafür, das alte Arbeitsverhältnis fortzusetzen, muss er sich von seinem neuen Arbeitgeber trennen. Stimmt dieser einer Aufhebung des Arbeitsvertrages nicht zu, bleibt Herrn W. nur die ordentliche Kündigung. Bis zum Ablauf der Kündigungsfrist muss er jedoch noch seine Arbeitsleistung erbringen.
Herr W. würde sich dann in einem Dilemma befinden. Vorausgesetzt, er will auf seine alte Stelle zurück, schuldet er sowohl seinem alten als auch seinem aktuellen Arbeitgeber die Arbeitsleistung. Einem gegenüber müsste er vertragsbrüchig werden.
Um den Arbeitnehmer aus dieser Situation zu befreien, räumt ihm die Rechtsprechung die Befugnis ein, den Vertrag mit dem neuen Arbeitgeber ordnungsgemäß abzuwickeln und dort bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiterzuarbeiten. Der alte Arbeitgeber muss sich solange gedulden und darf nicht etwa wegen vermeintlicher Arbeitsverweigerung eine verhaltensbedingte Kündigung aussprechen. Anderes kann gelten, wenn sich der Arbeitnehmer zu lange an den neuen Arbeitgeber gebunden hat, etwa durch Abschluss eines auf mehrere Jahre befristeten Arbeitsvertrages, der nicht ordentlich gekündigt werden kann.
Kehrt Herr W. an seinen alten Arbeitsplatz zurück, so erhält er, anders als im oben beschriebenen Fall, den entgangenen Verdienst nicht nur bis zum Eintritt beim neuen Arbeitgeber, sondern bis zur Wiederaufnahme seiner Tätigkeit beim alten Arbeitgeber. Den Verdienst, den er zwischenzeitlich vom anderen Arbeitgeber erhalten hat, muss er sich jedoch darauf anrechnen lassen. War die Vergütung dort jedoch niedriger, erhält er immerhin die Differenz zu dem Gehalt, das ihm während des Prozesses nicht gezahlt wurde.
Wolfgang Strba,
Rechtsanwalt und Fachanwalt
für Arbeitsrecht in Frankfurt