Am 08.12.2011 haben wir uns in der Frankfurter Allgemeine Zeitung mit dem Thema „Aufgabe der „gegenläufigen betrieblichen Übung“ durch das Bundesarbeitsgericht“ beschäftigt.
Herr P. ist seit mehr als 15 Jahren als Meister in einer Maschinenfabrik tätig. Er erhielt, ebenso wie seine Kollegen, bisher in jedem Jahr ein 13. Monatsgehalt, das im November ausgezahlt wurde. In den vergangenen fünf Jahren war der Gehaltsabrechnung für den November jeweils ein Schreiben beigefügt. Dort hieß es, die Zahlung erfolge freiwillig, das Unternehmen behalte sich vor, vom kommenden Jahr an die Sonderleistung einzustellen. In diesem Jahr machte die Geschäftsführung die Ankündigung wahr und zahlte kein 13. Monatsgehalt. Herr P. fragt, ob er einen Anspruch gegen das Unternehmen habe.
Da der Arbeitgeber Herrn P. über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren ohne jeden Vorbehalt ein 13. Gehalt gezahlt hatte, wurde eine sogenannte betriebliche Übung begründet. Darunter versteht man die gleichförmige, regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers. Hinzu kommen muss, dass der Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers schließen darf, eine Leistung oder Vergünstigung solle auch zukünftig gewährt werden.
Eine betriebliche Übung wird in aller Regel begründet, wenn eine Sonderzahlung in mindestens drei aufeinanderfolgenden Jahren vorbehaltlos erfolgt. Der Anspruch aus einer betrieblichen Übung steht einem Anspruch gleich, der sich aus dem Arbeitsvertrag ergibt. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber ihn nicht einfach wieder entziehen kann. Somit durfte das Unternehmen das 13. Monatsgehalt nicht streichen.
Auch der Umstand, dass in den letzten Jahren ein Hinweis auf die Freiwilligkeit erfolgte, ändert hieran nichts. Durch die bloße, widerspruchslose Entgegennahme der Schreiben durch Herrn P. wurde der Anspruch nicht nachträglich unter einen Freiwilligkeitsvorbehalt gestellt. Der Arbeitgeber kann nicht durch eine “gegenläufige betriebliche Übung” Ansprüche wieder beseitigen, die zuvor durch eine betriebliche Übung begründet worden sind. Das hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 18.03.2009 (Aktenzeichen 10 AZR 281/08) entscheiden und seine frühere, gegenteilige Rechtsprechung ausdrücklich aufgegeben.
Der Arbeitgeber kann sich somit seiner Pflicht zur Zahlung nicht entziehen, indem er über mehrere Jahre erklärt, die Leistung erfolge nur noch unter Vorbehalt, und indem er darauf hofft, dass die Arbeitnehmer dem nicht widersprechen werden. Dies ist Folge des allgemeinen Grundsatzes, wonach bloßes Schweigen in der Regel keine rechtlich relevante Erklärung darstellt.
Somit begründet der Umstand, dass Herr P. nicht auf die Schreiben reagierte, keine Erklärung des Einverständnisses mit der Umwandlung eines Rechtsanspruchs in eine freiwillige Leistung. Der Arbeitgeber hätte sich nur durch eine Vertragsänderung, die das Einverständnis des Arbeitnehmers voraussetzt, von seiner Pflicht zur Zahlung befreien können oder durch den Ausspruch einer Änderungskündigung. Beides erfolgte nicht.
Wolfgang Strba,
Rechtsanwalt und Fachanwalt
für Arbeitsrecht in Frankfurt