Entschließt sich ein Arbeitgeber wegen eines Rückgangs des Beschäftigungsbedarfes zu einer betriebsbedingten Kündigung, so muss er laut § 1 Abs.3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) eine Sozialauswahl durchführen.
Aus dem Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer ist grundsätzlich demjenigen zu kündigen, der sozial am wenigsten schutzwürdig, d. h. auf den Arbeitsplatz am wenigsten angewiesen ist. Wird stattdessen einem Mitarbeiter gekündigt, der sozial deutlich schutzbedürftiger ist, so kann dieser sich auf die fehlerhafte Sozialauswahl berufen und damit die Kündigung zu Fall bringen. Als Kriterien, die bei der Sozialauswahl zu berücksichtigen sind, nennt das Gesetz die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers.
Mit Urteil vom 27.04.2017 (Aktenzeichen 2 AZR 67/17) hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass ein Arbeitnehmer, der zur Inanspruchnahme der Regelaltersrente berechtigt ist, hinsichtlich des Kriteriums „Lebensalter“ deutlich weniger schutzbedürftig ist als einer, auf den dies nicht zutrifft. Der Kläger, der sich gegen die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses wandte, wurde 1947 geboren, ist verheiratet und war seit 1981 im Betrieb tätig. Er berief sich darauf, dass an seiner Stelle einer Kollegin, die 1979 geboren wurde, verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet ist und 2007 in den Betrieb eintrat, hätte gekündigt werden müssen. Während die Vorinstanzen das höhere Lebensalter des Klägers noch zu seinen Gunsten berücksichtigt und die Sozialauswahl daher als fehlerhaft beurteilt hatten, sah das BAG die Sache gegenteilig. Der Umstand, dass der Kläger Anspruch auf eine Regelaltersrente hat (die er zum Zeitpunkt der Kündigung auch schon bezog), führe, so das BAG, zu seiner geringeren Schutzbedürftigkeit hinsichtlich des Auswahlkriteriums „Lebensalter“. Ihm stehe mit der Rente dauerhaft ein Ersatzeinkommen für das zukünftig entfallende Gehalt zur Verfügung. Bei Arbeitnehmern ohne Anspruch auf Altersrente bestehe hingegen die Gefahr, dass sie durchgehend oder zumindest für größere Zeiträume beschäftigungslos bleiben und damit mittel- bzw. langfristig auf staatliche Unterstützungsleistungen angewiesen sind. Selbst wenn sie ein Anschlussarbeitsverhältnis begründen könnten, erzielten sie oftmals nicht ihr bisheriges Arbeitsentgelt, was ebenso wie Zeiten einer Arbeitslosigkeit zu Nachteilen in der Rentenbiographie führe. Die – jüngere – Kollegin des Klägers ist somit nach Ansicht des BAG erheblich schutzbedürftiger als dieser, was das Kriterium „Lebensalter“ angeht. Die deutlich längere Betriebszugehörigkeit des Klägers führe, so das BAG, nicht dazu, dass die Sozialauswahl im Ergebnis doch zu Gunsten des Klägers ausfalle. Die vom Arbeitgeber getroffene Entscheidung, von den Arbeitnehmern, die für eine Kündigung in Betracht kommen, den rentenberechtigten Kläger auszuwählen, sei somit nicht zu beanstanden.
Das Urteil zeigt, dass ein höheres Lebensalter bei einer Sozialauswahl nicht immer zu Gunsten des Betroffenen wirkt. Ist er berechtigt, eine Regelaltersrente zu beziehen, so reduziert dies seine Schutzbedürftigkeit im Vergleich zu Kollegen, die noch nicht im Rentenalter sind.
Wolfgang Strba
Rechtsanwalt und Fachanwalt für
Arbeitsrecht in Frankfurt