Am 02.07.2009 haben wir uns in der Frankfurter Allgemeine Zeitung mit dem Thema „Besteht ein Anspruch auf eine Vollzeitstelle?“ beschäftigt.
Frau O. arbeitet als Sekretärin in einem Unternehmen in Darmstadt mit rund 100 Mitarbeitern. Frau O. hat eine Halbtagsstelle, ist aber, da ihre Kinder inzwischen erwachsen sind, an einem Vollzeitarbeitsplatz interessiert. Als eine Kollegin, die eine Vollzeitstelle hat, in Rente geht, sieht Frau O. ihre Chance gekommen. Sie unterbreitet dem Personalleiter ihren Wunsch, die Stelle zu übernehmen. Zu ihrem Erstaunen teilt dieser ihr mit, man wolle den freien Arbeitsplatz mit einer externen Bewerberin besetzen, die Suche habe bereits begonnen. Frau O. ist der Ansicht, sie habe einen Anspruch darauf, die Vollzeitstelle zu bekommen.
Nach § 9 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) ist der Arbeitgeber verpflichtet, einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer bei der Besetzung eines freien Arbeitsplatzes mit längerer Arbeitszeit zu berücksichtigen. Voraussetzung ist, dass der Arbeitnehmer einen entsprechenden Wunsch angezeigt hat, was hier der Fall ist.
Des Weiteren muss der teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer die gleiche Eignung haben wie sein Konkurrent um den Arbeitsplatz. Sollte Frau O. mindestens die gleichen Fähigkeiten haben wie eine der externen Bewerberinnen, so müsste sie bevorzugt werden.
Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich der Arbeitgeber auf “dringende betriebliche Gründe” berufen kann. Die Anforderungen, die das Bundesarbeitsgericht an solche Gründe stellt, sind sehr streng. Als Beispiel ist die Unersetzlichkeit des Arbeitnehmers auf seinem bisherigen Teilzeitarbeitsplatz zu nennen. Hierfür gibt es im Fall von Frau O. keinen Anhaltspunkt. Verweigert der Arbeitgeber trotz eines Anspruchs den Wechsel des Arbeitsplatzes, müsste Frau O. Klage vor dem Arbeitsgericht erheben. Die Klage wäre darauf zu richten, dass der Arbeitgeber zur Erteilung seiner Zustimmung zur Änderung des Arbeitsvertrages verurteilt wird.
Daneben hat Frau O. die Möglichkeit, sich an den Betriebsrat zu wenden. Bei Unternehmen mit mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern muss der Arbeitgeber vor jeder Einstellung den Betriebsrat unterrichten und um dessen Zustimmung nachsuchen (§ 99 Betriebsverfassungsgesetz, BetrVG). Der Betriebsrat muss dann innerhalb einer Woche entscheiden, ob er die Zustimmung verweigert oder erteilt.
Die Gründe, aus denen der Betriebsrat die Zustimmung verweigern kann, sind im Betriebsverfassungsgesetz aufgeführt. Hierzu zählt die durch Tatsachen begründete Besorgnis, dass ein im Betrieb beschäftigter Arbeitnehmer durch die Einstellung einen Nachteil erleiden kann. Ein Nachteil in diesem Sinne ist unter anderem die Vereitelung des Anspruchs nach dem Teilzeitbefristungsgesetz (§ 9) durch die Einstellung eines externen Bewerbers.
Verweigert der Betriebsrat die Zustimmung zur Einstellung einer externen Bewerberin, so sind dem Arbeitgeber zunächst die Hände gebunden. Will er an seiner Entscheidung festhalten, muss er beim Arbeitsgericht einen Antrag auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrates stellen. Das Arbeitsgericht prüft dann, ob die vom Betriebsrat genannten Gründe für die verweigerte Zustimmung berechtigt sind, das heißt, ob Frau O. bei der Besetzung des Arbeitsplatzes tatsächlich zu bevorzugen ist.
Für den Arbeitgeber von Frau O. besteht somit das Risiko, zwei Gerichtsverfahren – eines gegen Frau O. und eines gegen den Betriebsrat – führen zu müssen. Dies könnte Anlass für ihn sein, seine Entscheidung zu überdenken und den freien Arbeitsplatz mit Frau O. zu besetzen.
Wolfgang Strba,
Rechtsanwalt und Fachanwalt
für Arbeitsrecht in Frankfurt