Am 19.07.2012 haben wir uns in der Frankfurter Allgemeine Zeitung mit dem Thema „Verlust der Sonderzahlung (Bonus, Prämie, Gratifikation usw.) nach Kündigung?“ beschäftig.
Herr K. war seit 1995 als Verkaufsmanager in einem Unternehmen in Frankfurt tätig. Im Jahr 2009 erhielt er ebenso wie einige seiner Kollegen ein Schreiben, wonach ihm eine Gratifikation in Höhe von 30 000 Euro für seine hervorragenden Leistungen und seinen Beitrag zum Unternehmenserfolg im abgelaufenen Geschäftsjahr gewährt werde. Ein Anteil in Höhe von 15 000 Euro werde jedoch erst dann ausgezahlt, wenn das Arbeitsverhältnis am 31. Mai 2012 ungekündigt fortbestehen sollte. Herr K. kündigte das Arbeitsverhältnis jedoch zum 30.Juni. Das Unternehmen weigert sich deshalb, ihm die zweite Hälfte der Gratifikation auszuzahlen. Der Leser fragt, ob er einen Anspruch auf die zweite Hälfte der Gratifikation hat.
Auf den ersten Blick scheint der Arbeitgeber im Recht zu sein. Das Arbeitsverhältnis bestand zwar zum Stichtag (31. Mai) noch, befand sich aber nicht im ungekündigten Zustand. Laut Wortlaut der Zusage besteht damit kein Anspruch. Allerdings ist die Klausel, die die Zahlung vom ungekündigten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses abhängig macht, unwirksam. Das hat das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 18.01.2012, Az. 10 AZR 612/10) für einen vergleichbaren Fall entschieden.
Es handelt sich um eine sogenannte Sonderzahlung mit Mischcharakter. Diese Bezeichnung rührt daher, dass die Leistung zwei Zwecken dient: der Vergütung bereits erbrachter Arbeitsleistung und der Belohnung der Betriebstreue. Nach dem Schreiben an Herrn K. wird die Gratifikation für die erbrachte Leistung gezahlt, ihre vollständige Auszahlung jedoch vom ungekündigten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu einem zukünftigen Datum abhängig gemacht. Weil die Gratifikation auch der Vergütung in einem bestimmten Zeitraum geleisteter Arbeit dient, kann sie, so das BAG, nicht vom ungekündigten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu einem Zeitpunkt, der nach diesem Zeitraum liegt, abhängig gemacht werden. Die Klausel verstößt gegen wesentliche rechtliche Grundsätze. Hierzu gehört, dass dem Arbeitnehmer die bereits verdiente Vergütung nicht nachträglich wieder entzogen werden darf. Verdient wurde die Gratifikation durch Leistungen, die bereits im Geschäftsjahr, das 2009 endete, erbracht wurden.
Zudem beeinträchtigt die Klausel das durch Artikel 12 des Grundgesetzes geschützte Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes. Der Arbeitnehmer, der zu einem bestimmten Zeitpunkt kündigen will, könnte hiervon abgehalten werden, weil er die Gratifikation nicht verlieren will. Aus den genannten Gründen stellt die Klausel eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers dar. Hieran ändert der Umstand, dass die Gratifikation auch der Belohnung der Betriebstreue dienen soll, nichts. Dieser zusätzliche Zweck vermöge, so das BAG, den Entzug bereits verdienter Vergütung nicht zu rechtfertigen. Herr K. hat somit einen Anspruch auf Zahlung der 15 000 Euro.
Wolfgang Strba,
Rechtsanwalt und Fachanwalt
für Arbeitsrecht in Frankfurt