Am 03.02.2011 haben wir uns in der Frankfurter Allgemeine Zeitung mit dem Thema „Recht zur Lüge – Welche Fragen dürfen im Vorstellungsgespräch gestellt werden?“ beschäftigt.
Herr E. ist Kfz-Mechatroniker. Seit Anfang des Jahres arbeitet er in der Werkstatt eines Autohauses im Kreis Offenbach. Beim Einstellungsgespräch hatte der Arbeitgeber gefragt, ob Herr E. Mitglied einer Gewerkschaft sei. Herr E., der ahnte, dass er die Stelle ansonsten nicht erhalten würde, verneinte die Frage. Als der Arbeitgeber später herausfindet, dass Herr E. die Unwahrheit gesagt hat, erklärt er die Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung und spricht eine außerordentliche fristlose Kündigung aus. Herr E. fragt, ob Anfechtung und Kündigung wirksam sind.
Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), das auf alle Vertragsverhältnisse und somit auch auf Arbeitsverträge Anwendung findet, sieht die Möglichkeit der Anfechtung einer Willenserklärung wegen arglistiger Täuschung vor. Die wirksame Anfechtung führt zur Auflösung des Vertrages. Voraussetzung der Anfechtung ist, dass eine Partei durch eine bewusst falsche Behauptung (Lüge) der Gegenseite dazu gebracht wurde, den Vertrag abzuschließen. Somit scheinen die Voraussetzungen für eine Anfechtung im vorliegenden Fall erfüllt zu sein.
Eine Anfechtung scheidet indes dann aus, wenn der Bewerber eine unzulässige Frage des (zukünftigen) Arbeitgebers wahrheitswidrig beantwortet. Er hat insoweit ein “Recht zur Lüge”. Das Fragerecht des Arbeitgebers vor der Einstellung eines Bewerbers unterliegt Beschränkungen. Hierdurch sollen Arbeitnehmer vor Eingriffen in ihre Rechte und ihre Privatsphäre geschützt werden.
Unzulässig sind etwa Fragen nach einer Schwangerschaft, dem Familienstand oder einer beabsichtigten Heirat. Auch nach einer etwaigen Gewerkschaftszugehörigkeit darf der Arbeitgeber nicht fragen. Der Grund: Der Arbeitgeber soll die Einstellung nicht davon abhängig machen, ob ein Bewerber Gewerkschaftsmitglied ist. Ein solches Auswahlkriterium verstößt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gegen die sogenannte Koalitionsfreiheit.
Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes schützt das Recht jedes Arbeitnehmers, einer Gewerkschaft beizutreten. Maßnahmen, die auf eine Einschränkung dieses Grundrechtes hinauslaufen, sind rechtswidrig. Muss ein Bewerber damit rechnen, aufgrund seiner Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft nicht eingestellt zu werden, so wird hierdurch faktisch seine Freiheit eingeschränkt, ihr beizutreten.
Die Frage des Arbeitgebers war somit unzulässig, Herr E. durfte sie wahrheitswidrig beantworten (Recht auf Lüge). Die Anfechtung ist somit unwirksam. Die Lüge stellt, da die Frage unzulässig war, auch keine Verletzung von rechtlichen Verpflichtungen gegenüber dem Arbeitgeber dar. Somit entfaltet auch die außerordentliche fristlose Kündigung keine Wirkungen. Das Arbeitsverhältnis besteht fort.
Wolfgang Strba,
Rechtsanwalt und Fachanwalt
für Arbeitsrecht in Frankfurt