Am 13.08.2009 haben wir uns in der Frankfurter Allgemeine Zeitung mit dem Thema „Auswirkungen des Verbandsaustritts des Arbeitgebers auf die Anwendbarkeit des Tarifvertrages “ beschäftigt.
Herr N. ist seit 2000 als Facharbeiter bei einem Zulieferbetrieb der Automobilindustrie beschäftigt. Er ist Mitglied der IG Metall. Sein Arbeitgeber, der ihm bislang das im Tarifvertrag festgelegte Gehalt zahlte, hat zum 31. Juli seine Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband gekündigt. Der Grund: Er will nicht mehr an den Tarifvertrag gebunden sein, da er die dort festgelegte Vergütung für wirtschaftlich nicht mehr tragbar hält. Er verlangt von Herrn N., eine Vereinbarung zu unterzeichnen, wonach der Bruttolohn zukünftig um zehn Prozent gesenkt wird. Für den Fall der Nichtunterzeichnung droht er eine Änderungskündigung an. Herr N. fragt, ob sich sein Arbeitgeber dem Tarifvertrag auf diese Weise entziehen kann.
Tarifverträge sind Vereinbarungen zwischen einzelnen oder Vereinigungen von Arbeitgebern und Gewerkschaft. In einem Tarifvertrag kann alles geregelt werden, was zum Inhalt eines Arbeitsverhältnisses gehören kann. Hierzu zählen etwa die Höhe des Entgelts, die Dauer der Arbeitszeit, Ausgestaltung des Urlaubsanspruchs, Kündigungsfristen, betriebliche Altersversorgung und vieles andere mehr. Die Mitglieder der Tarifvertragsparteien sind an den geschlossenen Tarifvertrag unmittelbar und zwingend gebunden. Abweichende Vereinbarungen zwischen einem verbandsangehörigen Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer, der Gewerkschaftsmitglied ist, sind somit grundsätzlich unzulässig.
Dies gilt selbst dann, wenn beide Parteien etwas anders vereinbaren wollen. Ausnahmen gelten nur dann, wenn der Tarifvertrag eine Abweichung von seinen Bestimmungen gestattet (sogenannte “Öffnungsklausel”) oder die abweichende Vereinbarung zugunsten des Arbeitnehmers wirkt (“Günstigkeitsprinzip”).
Unterstellt, der hier einschlägige Tarifvertrag enthält keine Öffnungsklausel, wäre eine Entgeltreduzierung zumindest bis zum 31. Juli in jedem Fall ausgeschlossen gewesen. Auf den ersten Blick scheint sich der Arbeitgeber durch den Verbandsaustritt der zwingenden Wirkung des Tarifvertrages vom 1. August an entziehen zu können.
Dem steht jedoch die im Tarifvertragsgesetz (§ 3 Absatz 3 TVG) angeordnete sogenannte Nachbindung entgegen. Danach bleibt der Arbeitgeber an den zur Zeit seiner Mitgliedschaft bestehenden Tarifvertrag selbst dann gebunden, wenn er aus dem Arbeitgeberverband austritt. Umgekehrt gilt dies auch im Fall eines Gewerkschaftsaustritts seitens des Arbeitnehmers.
Durch die Nachbindung soll verhindert werden, dass sich die Arbeitsvertragsparteien einem Tarifvertrag entziehen, dessen Inhalt ihnen nicht gefällt. Auch die Nachbindung gilt zwingend und unmittelbar. Sie besteht so lange, bis der Tarifvertrag endet (etwa nach Ablauf seiner Geltungsdauer) oder abgeändert wird. Bis zu diesem Zeitpunkt kann das Entgelt von Herrn N. also weder einvernehmlich noch durch eine Änderungskündigung abgesenkt werden.
Und selbst nach Ende der Nachbindung kann der Tarifvertrag noch Wirksamkeit entfalten. Dann gilt nämlich eine sogenannte Nachwirkung des Tarifvertrages (§ 4 Absatz 5 TVG). Diese hat zum Inhalt, dass die Normen des Tarifvertrages so lange weiter gelten, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Anders als bei der Nachbindung sind jetzt abweichende Vereinbarungen zu Lasten des Arbeitnehmers möglich. Auch kommt eine Änderungskündigung in Betracht. Eine Änderungskündigung zur Senkung des Entgelts ist aber nur in wenigen Ausnahmefällen zulässig und setzt in der Regel voraus, dass die Existenz des Arbeitgebers gefährdet ist.
Wolfgang Strba,
Rechtsanwalt und Fachanwalt
für Arbeitsrecht in Frankfurt